Ein Tasteninstrument, jedes Klavier, muss sich innerhalb einer Oktave mit 12 Halbtonschritten begnügen. 12 Halbtonschritte sind viel zu wenig, um damit in allen Tonarten reine Intervalle spielen zu können, reine Quinten und reine Terzen.
Pythagoras bereits ermittelte die Differenz, welche sich aus dem Übereinanderschichten von 12 Quinten und daneben 7 Oktaven ergibt. Beim Klavier gelangt man, beim gleichen Ton begonnen, zur gleichen Endtaste. Über reine Intervalle dagegen gelangt man zu zwei unterschiedlichen Tonhöhen, deren Differenz seither das “Pythagoreische Komma” heißt. Die moderne, gleichstufige “Temperatur” teilt das pythagoreische Komma in zwölf gleiche Teile und verteilt sie auf die zwölf Quinten des Quintenzirkels. Somit sind alle Halbtonschritte gleich groß (100 cent), aber es gibt dadurch kein einziges reines Intervall. Jede Quinte ist um 2 cent zu klein und jede große Terz um sage und schreibe 14 cent zu groß. Bei einer nach Gehör gelegten gleichstufigen Temperatur entstehen aber Abweichungen von bis zu 4 cent (eine nach Gehör gestimmte Temperatur kann nie eine Präzision von 12. Wurzel aus 2 erreichen).
Deshalb wurde bis zur Anwendung des elektronischen Stimmgeräts auch die theoretische, ereignislose, mathematische, absolut gleiche Intervallabstände aufweisende Temperatur weder gestimmt noch wahrgenommen.
Im Grunde muss man sich ja fragen, wieso es bis ins 20. Jahrhundert hinein möglich war, den Tonarten Gemütsstimmungen zuzuordnen, obschon doch “gleichstufig” gestimmt wurde. Eine Tonarten-Charakteristik entsteht doch erst durch ungleiche Tonstufen. 4 cent Abweichung von der Gleichstufigkeit ist nicht wenig, und wenn man allein diesen Wert bewusst einsetzt, dann kann man gebräuchliche Terzen mit besserer Reinheit ausstatten als weniger gebrauchte, wie es besonders beim Stimmen von Klavieren immer praktiziert wurde und wird. Man kann sich der Frage nach der richtigen oder günstigen Temperatur nicht entziehen. Jedenfalls gibt man ein für die musikalische Gestaltung wirksames Mittel aus der Hand, wenn dieses Thema außer Acht gelassen wird.
Neben den vielen “wohltemperierten” Stimmungen, welche die Benutzung aller Tonarten des Quintenzirkels zulassen, von Werckmeister bis nach Gehör gestimmter Gleichstufigkeit, nimmt die prätorianische Mitteltönigkeit eine Sonderstellung ein. Diese über viele Generationen bis ins 18. Jahrhundert hinein im gesamten Abendland gebräuchliche Temperierung mit ihren 8 reinen Terzen hat eine geradezu ungeheure Wirkung auf den Klang von Zungen- und Terzregistern und erzeugt einen Sound, wie er bestenfalls im Ensemblegesang oder beim Streichquartett entstehen kann. Die Chromatik bei Sweelinck und Frescobaldi ist dort atemberaubend aufregend. Das starke Erlebnis mit der strengen prätorianischen Mitteltönigkeit (das wohl etwas Übung im Hören voraussetzt) hatten wir durch den Neubau einiger kleiner Instrumente und besonders prägend durch die Restaurierung der Wiese-Orgel von 1727 in Beukirchen bei Malente, Schleswig-Holstein (einmanualige Orgel mit Principal 8′, vier Zungen und “kurzer” Octave”).
Leider ist die Mitteltönigkeit für jüngere Barockliteratur nicht mehr zu gebrauchen, weshalb wir in unseren neuen Orgeln meistens moderate ungleich-schwebende Temperaturen einsetzen, Stimmungen etwa nach Werckmeister oder Gräf-Sorge, bei romantischen Orgeln eine der gehörmäßig gelegten Gleichstufigkeit ähnliche Temperierung.
Ein Gespräch mit Johannes Rohlf
Das Gespräch führte Reinhold Morath, Erlangen
http://www.orgelbau-rohlf.de/themen/pdf/Interview.pdf
Comments (0)
Leave a reply
You must be logged in to post a comment.